Seite drucken
Klinikum Crailsheim (Druckversion)

Neuigkeiten

Aktuelles aus der Presse

Wir informieren Sie hier über aktuelle Themen und Aktionen über die in der Presse berichtet wurde:

Praxisalltag ist ein anderer

Seuche André Schröder-Son, Internist und Hygieneexperte im Krisenstab des Landkreises, spricht in seiner Hausarztpraxis in Rot am See über seine Arbeit in Zeiten der Corona-Krise.

Kein böses Wort darüber, dass die Zeitungsfrau sehenden Auges am Hinweisschild und am Spender mit dem Desinfektionsmittel vorbeigegangen ist. Dr. André Schröder-Son lächelt vielmehr freundlich und führt sie zurück auf Start: noch mal von vorne, jetzt mit garantiert sauberen Händen. Der Internist, der die Hausarztpraxis in Rot am See leitet, hat seine Patienten früher stets mit Handschlag begrüßt. Das ist sehr ungewöhnlich für einen Hygieniker, wie er selbst einräumt.

Vorwürfe in sozialen Medien

Der Handschlag ist Vergangenheit, und die Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus werden immer umfangreicher. Das Fachwissen, das ihn einst zum Hygienebeauftragten des Krankenhauses in Öhringen gemacht hat, ist heute im Corona-Koordinierungsstab des Landkreises gefragt. Vor allem aber, sagt er, fühlt er sich seinen Patienten und seinen Mitarbeiterinnen verpflichtet: Sie können und müssen geschützt werden. Unaufgeregt aber bestimmt. Diese Gelassenheit trägt auch, wenn in sozialen Medien Vorwürfe laut werden, im Landkreis werde nicht genug getestet, oder wenn behauptet wird, dass sich niemand um die Kontaktpersonen eines Infizierten kümmere. Der Corona-Test, sagt er, habe „immer weniger Konsequenzen“; ein negativ Getesteter könne sich bereits auf dem Heimweg infizieren: Für ihn ist klar: „Je höher die Erkrankungshäufigkeit, desto weniger entlastet ein Test.“

Wenn Grenzen erreicht sind

Der Landkreis Esslingen, Vorreiter in Sachen Testzentrum, war mit neun infizierten Skiurlaubern aus Südtirol sehr früh betroffen. Im dortigen Gesundheitsamt ruhten daraufhin praktisch alle anderen Aufgaben. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter telefonierten tagelang Kontakte der Infizierten ab, so der Leiter des dortigen Dezernats im HT-Gespräch.

Sehr früh zeichnete sich ab, dass man bald Grenzen erreichen würde, dass nach der Phase des Containments, also der Eindämmung, das zweite Stadium ansteht, in dem nicht mehr nur die Infizierten isoliert, sondern auch besonders gefährdete Menschen und Einrichtungen wie Pflegeheime und Krankenhäuser geschützt werden.

Hohe Dunkelziffer

Für Schröder-Son ist dieses Stadium, in dem die Tests nicht länger von entscheidender Bedeutung sind, mittlerweile erreicht: Infektionsketten ließen sich kaum noch nachvollziehen – zumal die Labore zur Auswertung von Tests auch aus kritischen Einrichtungen inzwischen bis zu fünf Tage benötigten und infizierte Leichterkrankte ohnehin nach Hause geschickt werden müssten, weil keine spezifische Therapie zur Verfügung stehe. Die gute Nachricht: „Bei den meisten Menschen ohne wesentliche Vorerkrankungen heilt die Infektion folgenlos aus.“ Nach zehn Tagen in einem Körper sei das Virus nicht mehr ansteckungsfähig; eine zweiwöchige Quarantäne reiche aus, die rapide Fallzahlenentwicklung zunächst einzudämmen: „Das sind auch 14 Tage Zeit, die Regeln in Bezug auf Hygiene und Kontakt zu lernen.“

Der Mediziner befürchtet, dass sich eine vollumfängliche Ausgangssperre nicht vermeiden lässt: Alle Appelle, eigenverantwortlich zu handeln, verhallten, die Fallzahlen stiegen noch immer. „Es gibt eine hohe Dunkelziffer; wir gehen davon aus, dass die publizierten Fallzahlen verzehnfacht werden können. Mit ganzer Kraft gelte es, dem entgegenzuwirken, um der drohenden Überlastung der Krankenhäuser vorzubeugen. Schröder-Son spricht von 28 000 Intensivbetten in Deutschland. In einigen Regionen seien freilich bis zu 30 Prozent stillgelegt, weil das Personal fehle, vom Rest seien in der Regel rund 80 Prozent belegt: „Es gibt diese Intensivbetten ja, weil sie gebraucht werden.“

Er hat früh reagiert

Für den 48-Jährigen ist es derzeit zentrales Anliegen, die Versorgung seiner nicht infizierten, aber chronisch kranken Patienten zu gewährleisten. Bereits am 5. Februar hat er in seiner Praxis in Rot am See zur ersten Teambesprechung in Sachen Corona. Die Mitarbeiterinnen, die – wie praktisch alle im Land – überhaupt keine Vorstellung davon hatten, was auf sie zukam, erfuhren, auf welchen Virus sie sich einstellen müssen. „Selbstverständlich“, so Schröder-Son, sei die Fachwelt bereits im Dezember alarmiert gewesen, als von den schweren Lungenerkrankungen und Todesfällen in Wuhan (China) berichtet wurde.

Verschlossene Tür

Im Februar gab‘s in der Praxis Hygieneunterweisungen, die Desinfektionspläne wurden aktualisiert. In der Faschingszeit, also Ende Februar, wurde die Flächendesinfektion auf alkoholisch umgestellt: Das riecht zwar heftig, ist aber insbesondere bei hoher Viruslast effizienter. In der ersten Märzwoche wurde eine Infektionssprechstunde eingeführt: Seither werden alle, die Symptome zeigen, separat empfangen; für ihre Behandlung trägt Schröder-Son Schutzausrüstung. Inzwischen gibt es zusätzliche Barrieremaßnahmen. Eine stets verschlossene Tür etwa, an der Patienten persönlich in Empfang genommen oder eben vertröstet werden: Wer Symptome zeigt, erhält einen Termin. Im Wartezimmer ist jeder zweite Stuhl entfernt, auch Markierungen im Empfangsbereich garantieren Abstand. Vor allem wurde die telefonische Betreuung intensiviert. Wie viele seiner Kollegen rechnet Schröder-Son damit, dass das Coronavirus bis zu zwei Jahre ein Problem sein wird. Sobald 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung infiziert sind, bremse die so entstehende Herdenimmunität das Virus aus. Bis dahin, oder bis geheilt oder geimpft werden kann, müssten Einschränkungen ertragen werden. Beim Kontakt mit anderen, im gesamten Alltag. Seine Patienten, sagt er, kommen mit der Praxisumstellung gut klar.

Vom Jugendrotkreuz in die Arztpraxis

André Schröder-Son, 1971 in Berlin geboren, kam über das Jugendrotkreuz zur Medizin: Die halbe Klasse machte mit, im Gegensatz zu den anderen blieb er dabei. Etwas bewirken zu können, einen Unterschied auszumachen, das hat sein Berufsleben geprägt. Als Oberarzt baute er im Hohenloher Krankenhaus in Öhringen die Diabetologie auf, die er später als leitender Arzt geführt hat. Dort war er auch zertifizierter Hygienebeauftragter. In einem berufsbegleitenden Studium erarbeitete er sich die Gesundheitsökonomie und lernte, „was das Gesundheitswesen in welchem Sektor leisten kann und was nicht“. Das hat ihm immer wieder sehr geholfen.

Nach mehreren Wechseln in der Geschäftsleitung und allgemein in der Krankenhauspolitik hat er sich entschlossen, in die Selbstständigkeit zu gehen – „um in schweren Situationen so steuern zu können, wie ich denke, dass es richtig und verantwortungsbewusst ist“. André Schröder-Son lebt mit seiner Frau und den beiden Söhnen in Öhringen. Die Praxis in Rot am See hat er 2018 als Hausarzt übernommen, nicht als Facharzt: „Eine Entscheidung, die ich nie bereut habe.“

HOHENLOHER TAGBLATT / 27.03.2020 Von Birgit Trinkle

André Schröder-Son (48) ist Hausarzt in Rot am See.
Foto: Birgit Trinkle
André Schröder-Son (48) ist Hausarzt in Rot am See.
Foto: Birgit Trinkle

http://www.klinikum-crailsheim.de//de/aktuelles/neuigkeiten